Die Richter des OLG Hamm hatten sich im November 2019 mit dem Begriff der „Schrittgeschwindigkeit“ sowie deren Bestimmtheitserfordernissen auseinanderzusetzen. Die Entscheidung gelang aufgrund einer Rechtsbeschwerde einer am Amtsgericht anhängigen Sache zum Obergericht.
Dieser lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Betroffene wurde vom Amtsgericht Dortmund aufgrund fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h zu einer Geldbuße von 160 EUR sowie einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Das Vergehen wurde in einer „verkehrsberuhigten Zone“ (Verkehrszeichen 325.1) mit einer Geschwindigkeit von 41 km/h gemessen, abzüglich Toleranz von 3 km/h ergibt sich letztendlich ein Wert von 38 km/h. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist in solcher „verkehrsberuhigten Zone“ eine Maximalgeschwindigkeit von 7 km/h zulässig, was eine Überschreitung über 31 km/h darstellt. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen die Rechtsfolgenentscheidung hinsichtlich der Definition einer „Schrittgeschwindigkeit“.
Nach § 42 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Verkehrszeichen 325.1 in Abschnitt 4 der Anlage 3 darf in einer solchen „verkehrsberuhigten Zone“ lediglich Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Über eine Höchstgrenze des Tempos schweigt das Gesetz jedoch.
Aufgrund des Bestimmtheitsgebotes nach Art. 103 Abs. 2 GG ist es nötig, dass für jedermann erkenntlich sein muss, welches Handeln mit welcher Sanktion bedroht ist, damit etwaige Konsequenzen abgewogen werden können. Daran könnte es hinsichtlich der Schrittgeschwindigkeit mangeln, wenn keine feste Grenze anhand einer Maximalgeschwindigkeit festgelegt ist. Demnach würde er diesem aufgrund fehlender gesetzlicher Definition nur gerecht werden, wenn er sich durch Auslegung klar bestimmen lässt.
Nach der Wortlautauslegung ist es zwingend, dass sich die „Schrittgeschwindigkeit“ in jedem Fall durch eine Art des Gehens definiert, in welcher zumindest jeweils ein Fuß stets Kontakt zum Boden hat. Aufgrund großer Unterschiede in der Gangart des Menschen ist von einem gewissenhaften Durchschnittsmenschen auszugehen. Das Tempo von „Gehgehschwindigkeiten“ aus dem Bereich des Spitzensports abzuleiten, würde dem Zweck des Gesetzgebers widerlaufen (dies wären ca. 15 km/h). Nach Abgleich mehrerer Studien ergibt sich ein durchschnittliches Geh-Tempo zwischen 4,5 und 5,5 km/h.
Die Annahme dieses Wertes wird jedoch von einer indirekt im Gesetz ausgedrückten Untergrenze verhindert. So finden sich beispielsweise in § 5 Abs. 2 gemäß Anlage 1 FeV die Voraussetzungen für den Erwerb einer Mofa-Prüfbescheinigung. Dort ist einerseits erforderlich, dass der Prüfling in „Schrittgeschwindigkeit“ geradeaus fahren kann, andererseits müsse er einen Slalom-Parkour in „Schrittgeschwindigkeit“ absolvieren. Das Mofa muss jedoch währenddessen eine solche Geschwindigkeit innehaben, dass es nicht an Stabilität verliert und in Folge dessen zu kippen droht. Diese Grenze findet sich bei ca. 7 km/h.
Die Spanne der denkbaren Obergrenze einer „Schrittgeschwindigkeit“ als noch einem maximalen normalen Fußgängertempo entsprechend ist demnach so eng bemessen, dass dem Bestimmtheitsgebot als solchem durch richterliche Entscheidung noch entsprochen werden kann. Aufgrund der unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeit der Geschwindigkeitsgrenze ist die obergerichtliche Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen voneinander abgewichen, so dass heutzutage sowohl 7 km/h (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2018 – 2 Rb 9 Ss 794/17; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Mai 2005 – 1 Ss (Owi) 86 B/05 oder auch OLG Köln, Beschluss vom 22. Januar 1985 – 1 Ss 782/84) als auch 10 km/h (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. März 2017 – 2 Ws 45/17; OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2012, III-5 RBs 18/12 sowie OLG Hamm, Urteil vom 13. Oktober 1953, VRS 6 S. 222 f.) vertreten werden.
Eine höchstrichterliche Klärung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich des Themas der „Schrittgeschwindigkeit“ wurde in der Vergangenheit jedoch noch nicht unternommen. Solange dies nicht geschehen ist, so folgt auch keine rechtliche Bindung der Obergerichte. Jedoch gehen die Richter des OLG davon aus, dass eine Entscheidung des BGH die Grenze der Schrittgeschwindigkeit über 10 km/h festlege.
Eine Beurteilung der Schrittgeschwindigkeit im Einzelfall nach tatrichterlichem Ermessen würde dem Bestimmtheitsgebot nicht genügen. Aufgrund der herrschenden Uneinigkeit in der Rechtsprechung solle dem Betroffenen demnach eine Art „Abwandlung“ des Zweifelgrundsatzes zugutekommen, welcher den großzügigeren Wert von 10 km/h bei der Feststellung der Sanktion annehmen soll.
Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Beklagten allenfalls eine Überschreitung von 28 km/h zur Last gelegt werden könne. Nach dem Bußgeldkatalog führt dies lediglich zu einer 100 EUR Geldbuße, ein Fahrverbot entfällt. Das OLG Hamm ändert die Rechtsfolge des vorherigen Urteils durch das AG Dortmund dahingehend ab (OLG Hamm, Beschluss vom 28.11.2019 – 1 RBs 220/19).
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Hinweis:
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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