Üblicherweise werden standardisierte Messverfahren zur Erfassung von Verkehrsverstößen eingesetzt, um unter gleichen Voraussetzungen gleiche Messergebnisse zu erzielen und damit den Angeklagten ein faires Verfahren zu ermöglichen. Das Messverfahren wird vom Gericht im Einzelfall nicht nachgeprüft, die Messung ist als Beweismittel verwendbar. Ob die Messung mittels eines Systems mit künstlicher Intelligenz als Beweis in einem Bußgeldverfahren verwendet werden darf, hat das Amtsgericht Trier mit Urteil vom 02.03.2023 entschieden.
KI-Software als neue Methode zur Erfassung von Verkehrsverstößen
Die Betroffene war als Fahrzeugführerin eines Pkws von einer Kamera dabei gefilmt worden, wie sie ein Mobiltelefon mit der rechten Hand an ihr rechtes Ohr gehalten hatte, ihr Mund war dabei geöffnet gewesen. Das Besondere an der Messung war die Nutzung einer MonoCam, welche mit einer Kamera einen Fahrbahnausschnitt erfasst und gleichzeitig die Bilder der durchfahrenden Pkws an einen Auswertelaptop sendet. Eine Künstliche-Intelligenz-Software analysiert die Bilder des Livestreams dann und sucht sowohl nach den Kennzeichen der Fahrzeuge als auch nach möglichen elektronischen Geräten in der Nähe des Fahrzeugführers. Zudem wird auch die Handbewegung oder Handhaltung des Fahrzeugführers bewertet. Hat das System ein elektronisches Gerät und eine entsprechende Handbewegung erkannt, wird dieser potenzielle Treffer in Form eines Lichtbildes gespeichert. Zwei diensthabende Polizisten werten die potenziellen Verstöße vor Ort aus. Bestätigte Trefferfälle bleiben gespeichert, während nicht verifizierbare Vorfälle gelöscht werden. Ein Hinweisschild „Handyüberwachung“ zeigte am Tag des Vorwurfs die anstehende Kontrolle des Fahrbahnabschnitts an. Bei dem benutzten MonoCam-System handelt es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren, da im Gegensatz zu Geschwindigkeits- und Abstandsbestimmungen keine Messung durchgeführt wird. Umso interessanter ist deshalb die Frage, ob dieses Messverfahren zum Beweis einer Verkehrsordnungswidrigkeit ausreicht.
Verwendung von MonoCam-Aufnahmen trotz Beweiserhebungsverbot möglich
Das AG Trier erkannte, dass die Datenerfassung mittels des MonoCam-Systems mangels gesetzlicher Grundlage einem Beweiserhebungsverbot unterliegt. Die personenbezogenen Daten aller Verkehrsteilnehmer im Sichtbereich der Kamera seien ziel- und zweckgerichtet erhoben worden, um mit deren Hilfe einen möglichen Ablenkungsverstoß festzustellen und darauf Bußgeldbescheide zu stützen. Dabei gibt es andere Maßnahmen, um Verstöße zu kontrollieren und dabei Verkehrsunfällen vorzubeugen oder diese zu verringern.
Oft zieht ein Beweiserhebungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Fraglich ist dann, ob Tatsachen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, trotzdem zur Begründung eines Anfangsverdachts verwendet werden dürfen. Im Interesse der effektiven Strafverfolgung wird in der Regel davon ausgegangen, dass ein Verbot der Beweisverwertung über das unmittelbar gewonnene Beweisergebnis jeweils nach Sachlage und Art des Verbots begrenzt wird, aber keine Fernwirkung im weiteren Verfahren entfaltet.
Das AG Trier ging insgesamt nicht von einem durchgreifenden Beweisverwertungsverbot aus. Die Verwendung von anfänglich anlasslos erfassten Daten durch das Mono-Cam-System unterliegen laut Gericht deshalb keinem Beweisverwertungsverbot, weil es sich hierbei nicht um einen schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstoß handelte, bei dem die grundrechtliche Ordnung außer Acht gelassen wurde. Auch ist nicht der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt worden durch die Aufnahme. Das allgemeine Interesse an der effektiven Abwehr von Gefahren, die von der rechtswidrigen Nutzung von Mobiltelefonen im Straßenverkehr ausgehen, überwiege die schutzwürdigen Belange der Betroffenen, insbesondere ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Eingriff in ihre Grundrechte sei vergleichsweise gering, da die Daten der Fahrzeugführer erst nach Vorliegen eines Anfangsverdachts gespeichert werden und „Fehl- bzw. Nichttreffer“ spurenlos wieder vernichtet werden. Zudem wurde die Maßnahme offen durchgeführt, ein Hinweisschild wies auf die nahende Kontrolle hin. Die Aufnahme der vorüberfahrenden Fahrzeuge wurde manuell mittels Vier-Augen-Prinzip von Polizeibeamten überprüft, diese waren laut AG ausreichend geschult. Im Falle der betroffenen Autofahrerin hatten die Polizeibeamten, wie auch das KI-System erkannt, dass sie sich ein elektronisches Gerät an das Ohr hielt. Der leicht geöffnete Mund ließ nach allgemeiner Lebenserfahrung den Schluss zu, dass die Betroffene mit dem Mobiltelefon telefonierte.
Die Betroffene wurde wegen der vorsätzlichen, rechtswidrigen Benutzung ihres Handys zu einer Geldstrafe in Höhe von 100,00 € verurteilt. Ihr wurden die auch die Kosten des Verfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 464, 465 Abs. 1 StPO auferlegt.
AZ.: AG Trier, Urteil vom 02.03.2023 - 27c OWi 8041 Js 2838/23
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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