Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes musste sich im November 2020 mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern eine Behörde rechtmäßig ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einfordern kann, falls bei dem Fahrerlaubnisinhaber eine Depression diagnostiziert wurde. Die Richter argumentierten, dass auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seitens der Exekutive zu beachten sei und demnach immer das mildeste Mittel für den Betroffenen gewählt werden müsse, um eine solche Fahreignungsfeststellung zu treffen.
Der Fall besteht aus dem folgenden Sachverhalt:
Der betroffene Fahrerlaubnisinhaber hat sich in einem persönlichen Vorgespräch zu gesundheitlichen Fragen seitens der Führerscheinbehörde geäußert, dass er sich vor fünf Monaten in einer schweren depressiven Episode befunden habe und aufgrund dieser intensiv-stationär in einer Universitätsklinik behandelt wurde. Aus dieser Sachverhaltsaufklärung beschloss die Behörde, ein neurologisch-psychologisches Gutachten einzufordern, um aus ärztlicher Sicht zu klären, ob der Fahrerlaubnisinhaber dazu geeignet ist, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Zudem solle das Gutachten Aufschluss darüber geben, ob eine besondere Krankheit nach Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV vorläge (Affektive Psychosen – darunter sehr schwere Depressionen oder schwere depressive Phasen mit kurzen Intervallen).
Der Antragsteller hat das Gutachten nicht fristgemäß bei der Behörde eingebracht. Daraufhin folgte der Fahrerlaubnisentzug aufgrund Vermutung der Fahruntauglichkeit. Gegen diese behördliche Entscheidung legt der Antragsteller Widerspruch ein, welcher abgewiesen wurde. Daraufhin begehrt dieser die Klage am Verwaltungsgericht und stellt einen Prozesskostenhilfeantrag, um seitens des Staates finanziell bei seiner Rechtsdurchsetzung unterstützt zu werden.
Dieser Prozesskostenhilfeantrag wurde seitens des Verwaltungsgerichts abgelehnt, da dies keine Aussicht auf Erfolg in der Hauptsache sehe. Die Fahrerlaubnisentziehung war seitens der Verwaltungsrichter absehbar rechtmäßig. Der Hilfsantrag wurde deshalb abgelehnt.
Gegen diese ablehnende Entscheidung legte der Antragsteller eine Rechtsbeschwerde zum Oberverwaltungsgericht ein. Die höhere Instanz stellte fest:
„Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.“ (OVG d. Saarlandes a. a. O.)
Es folgt die Subsumtion der Saarländer Richter auf den obig geschilderten Fall:
„Die von der Fahrerlaubnisbehörde für einschlägig erachtete Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV setzt indes abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Krankheitsbild einer Manie das Bestehen einer „sehr schweren“ Depression bzw. „sehr schwerer depressiver Phasen mit kurzen Intervallen“ voraus. „Sehr schwer“ ist eine Depression, die zum Beispiel mit depressiv-wahnhaften, depressiv-stuporösen (= psychische und motorische Erstarrung) Symptomen oder mit akuter Suizidalität einhergeht.
Demgegenüber bestand beim Antragsteller ausweislich des von ihm vorgelegten ärztlichen Attests vom 12.8.2019 lediglich eine depressive Episode leichtgradiger Ausprägung, und seine für den Aufenthalt in der Universitätsklinik A-Stadt ursächlich gewesene schwere depressive Episode lag zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Monate zurück. Demgemäß bestätigte der behandelnde Arzt des Antragstellers mit Datum vom 16.10.2019, es ergäben sich keine Hinweise dafür, dass die Fahreignung des Antragstellers krankheitsbedingt derzeit eingeschränkt wäre. Ausgehend von dieser Tatsachengrundlage war die Annahme des Vorliegens einer „sehr schweren“ Depression bzw. „sehr schwerer“ depressiver Phasen mit kurzen Intervallen zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung eher fernliegend.“
Die Richter fassten demnach zusammen, dass ein solch angefordertes neurologisch-psychiatrisches Gutachten im konkreten Einzelfall nicht notwendig war. Es hätte seitens der Behörde ausgereicht, einen Entlassungsbericht der Universitätsklinik zu verlangen. Daraus hätte der Entschluss gezogen werden können, dass die schwere depressive Phase des Antragstellers bereits fünf Monate vergangen war und somit nicht unter den Tatbestand der Nr. 7.5 der Anlage der FeV fällt.
OVG des Saarlandes – Beschl. v. 24.11.2020 – 1 D 278/20
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Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
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Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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