Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat im Mai 2022 in einem Urteil weitere Konkretisierungen zum Vorfahrtsrecht vorgenommen. Nach Aussage des Richters hat ein Rechtsabbieger das Recht, sich die linke oder rechte Fahrspur auszusuchen, wenn dieser in eine zweispurige Straße einbiegen möchte. Ein Linksabbieger müsse das Vorfahrtsrecht des Rechtsabbiegers in solch einer Situation in jedem Fall beachten.
Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Winter 2019 kam es auf einer Kreuzung in Brandenburg an der Havel zu einem Verkehrsunfall zwischen zwei Kraftfahrzeugen. Die Überfahrt war durch unterschiedliche Lichtanzeigeanlagen kontrolliert. Der Fahrzeugführer eines Kleinbusses wollte nach rechts in eine zweispurige Straße einbiegen. Da sich bereits vor ihm ein weiterer Rechtsabbieger befand, welcher in die gleiche zweispurige Straße einbiegen wollte, entschied sich der Kleinbus-Fahrer dazu, in die linke Fahrspur einzufahren.
Im selben Moment wollte ein Linksabbieger ebenfalls in die linke Fahrspur dieser zweispurigen Straße einfahren, wodurch es zu einem Zusammenstoß der zwei Fahrzeuge kam.
Dies hat zur Folge, dass der Halter des Kleinbusses gegen den PKW-Fahrer sowie dessen Haftpflichtversicherung eine Klage auf Zahlung von Schadensersatz erhebt.
Der Rechtsabbieger darf auf den linken Fahrstreifen einbiegen
Das Amtsgericht machte klar, dass dem Rechtsabbieger bei seinem Manöver kein Fehlverhalten zu unterstellen ist und entschied zu Gunsten des Klägers. Der Anspruch auf Schadensersatz besteht, da der Beklagte im vorliegenden Fall eine Vorfahrtsverletzung beging und entgegen § 9 Abs. 4 StVO pflichtwidrig handelte, da er den bevorrechtigten Rechtsabbieger nicht durchfahren ließ. Dies lässt sich aus dem Grundsatz ableiten, dass alle Linksabbieger die entgegenkommenden Fahrzeuge, welche nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen müssen.
Daran ändere auch der Umstand nichts, dass sich der Rechtsabbieger auf der linken Fahrspur der zweispurigen Straße befand.
Nach den Tatrichter gilt folgendes: Ist die Straße, in die abgebogen werden soll, zweispurig, so habe der bevorrechtigte Rechtsabbieger grundsätzlich auch ein Wahlrecht, welchen Fahrstreifen er dort befahren will. Das Vorfahrtsrecht des Rechtsabbiegers beziehe sich auf beide Fahrspuren. Darauf müsse sich ein Linksabbieger einstellen. Er dürfe nicht darauf vertrauen, der Rechtsabbieger werde nur in den rechten Fahrstreifen abbiegen.
Aufgrund dieser Überlegung liegt auch kein Fahrstreifenwechsel i.S.d. § 7 Abs. 5 StVO vor, welcher hier eine Haftungsquote entfalten könnte, sondern lediglich eine Fortsetzung der Fahrt auf einer linken Rechtsabbiegerspur.
Amtsgericht Brandenburg a. d. Havel, Urteil vom 27.05.2022 - 31 C 290/20 –
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Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt. Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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