Der Angeklagte wurde am 29.07.2020 mit Urteil des Amtsgerichts wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie wegen Ordnungswidrigkeit nach § 6 Abs. 1 StVG zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 40,- € verurteilt. Ferner wurde gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und eine Geldbuße von 35,- € festgesetzt.
Gegen die Entscheidung hat der Angeklagte über seinen Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Das Rechtsmittel des Angeklagten war als Sprungrevision gem. §§ 335 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, und begründet worden. Es hat in der Sache (vorläufig) Erfolg. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen des Schuldspruchs nach §142 StGB seien schon in objektiver Hinsicht nicht tragbar.
Eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort / sog. Unfallflucht gem. § 142 StGB setzt voraus, dass die Tat im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden ist. Öffentlich ist ein Verkehrsraum dann, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird.
„Nicht - öffentlich“ im straßenverkehrsrechtlichen Sinne sind demgegenüber Verkehrsflächen, die
erkennbar nur für bestimmte oder jedenfalls individuell bestimmte oder jedenfalls individuell
bestimmbare und damit nur für solche Benutzer zugelassen sind, die entweder untereinander oder
zum Verfügungsberechtigten nur durch persönliche oder sachliche Beziehungen verbunden sind, wie
das namentlich auf den Privatparkplatz einer Hausgemeinschaft zutreffen kann, der grundsätzlich
nur den jeweiligen Hausbewohnern und ihren Besitzern, nicht aber dritten Personen offen steht.
Maßgeblich für die Differenzierung sind die äußeren Gegebenheiten, die einen Rückschluss auf das
Vorhandensein und den Umfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den
Verfügungsberechtigten zulassen. Für eine Beschränkung auf einen eng umrissenen Personenkreis
sprechen dabei die einen beschränkten Nutzerkreis ausweisende Zufahrtsbeschilderung, die
Nummerierung der Parkbuchten oder ihre Kennzeichnung mit Namensschildern für bestimmte
Bewohner aber auch bauliche Anordnung der Abstellfläche, die erkennen lässt, dass sie zu einer
privaten Wohnanlage gehören und die Berechtigten die Benutzung durch Dritte nicht dulden wollen.
Das Amtsgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Angeklagte am Tattag beim Rückwärtsfahren mit dem PkW, der auf dem Parkplatz vor dem Anwesen pp. stand, gegen das ebenfalls auf diesem Parkplatz stehende Fahrzeug der Geschädigten pp, der Nachbarin des Angeklagten, gefahren ist.
Das Amtsgericht hat zu den örtlichen Gegebenheiten ausgeführt, dass es sich bei dem Parkplatz um einen „allgemein von der Straße zugänglichen Parkplatz“ handelt, der jedoch durch Schilder als Privatparkplatz ausgewiesen worden ist. Er ist durch eine breite Toreinfahrt allgemein erreichbar. Bei den Parkplätzen handelt es sich um Privatparkplätze der Mieter.
Das Gericht war der Auffassung, dass es sich bei dem Parkplatz um einen allgemein zugänglichen Verkehrsraum handele, wozu auch Grundstückseinfahrten und private Zufahrtswege gehören. Es handele sich nicht um einen Parkplatz, der nur einer bestimmten Gruppe zugänglich ist, sondern - wie sich aus den Bildern ergeben hat, allgemein zugänglich ist.
Somit hat der Unfall nicht im öffentlichen Verkehrsraum stattgefunden. Die Beschilderung als „Privatparkplatz“ und die Einordnung der Stellflächen als „Privatparkplätze der Mieter“, deutet vielmehr auf die Zulassung nur eines begrenzten Nutzerkreises und damit auf das Vorliegen einer nicht – öffentlichen Verkehrsfläche hin. Auf einer Grundstückseinfahrt oder privaten Zuwegung, wie sie das Urteil benennt, soll sich die Tat nicht ereignet haben. Im Übrigen ist eine Zugehörigkeit dieser Liegenschaften zum öffentlichen Verkehrsraum auch nicht zu bejahen, sondern nur dann, wenn sie einem unbestimmten Personenkreis zur Nutzung offenstehen. Dies wird durch die Feststellungen hier gerade nicht belegt. Der Senat konnte nicht feststellen, ob sich eine solche „grundsätzliche allgemeine Zugänglichkeit aus den Bildern ergibt.“ Dieser Darstellungsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Eine Verurteilung des Angeklagten nach §142 StGB bleibt jedoch nicht ausgeschlossen, sodass die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen war.
OLG Jena, Beschl. v. 09.02.2021 - 1 OLG 121 Ss 116/20
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Sven Skana
Fachanwalt Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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