Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat in einem Beschluss vom 11.07.2022 einen Betroffenen vom Vorwurf der vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen, weil die sensorischen Eindrücke des Betroffenen bei einer Überschreitung von 22 km/h innerhalb einer Baustelle nicht ausreichend waren, um eine Kenntnis und Billigung der Überschreitung zu begründen.
Das Gericht verkündete das Urteil auf Grundlage folgenden Sachverhaltes:
Der Betroffene war vom Amtsgericht Kaiserslautern wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 22 km/h auf einer Autobahn zu einer Geldbuße von 140 € verurteilt worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch Nachfahren mit einem geeichten Messfahrzeug. Das Amtsgericht hatte angenommen, dass der Betroffene die Überschreitung aufgrund der Motorengeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit der Änderung der Umgebung erkannt und diese billigend in Kauf genommen habe. Der Betroffene legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein und bestritt, die Überschreitung bemerkt zu haben. Er gab an, dass er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung gehalten habe und dass er die Baustelle nicht übersehen habe.
Oberlandesgericht: Bemerkung der Geschwindigkeit hängt vom Einzelfall ab
Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern aufgehoben und den Betroffenen freigesprochen. Das Gericht hat zunächst darauf hingewiesen, dass für den Vorwurf des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine positive Kenntnis und Billigung der Überschreitung erforderlich sei. Dies könne aus äußeren Kriterien abgeleitet werden, wenn die Überschreitung so erheblich sei, dass sie dem Fahrer nicht verborgen bleiben könne. Dies sei in der Regel bei einer Übertretung von mindestens 40 % der angeordneten Höchstgeschwindigkeit anzunehmen. Die Juristen haben festgestellt, dass diese Voraussetzung hier nicht gegeben war. Der Betroffene hatte die zugelassene Höchstgeschwindigkeit um ca. 37 % überschritten. Dies sei eine vergleichsweise niedrige Übertretung, die nicht ohne weiteres erkennbar sei.
Die sensorisch wahrnehmbaren Merkmale eines zu schnellen Fahrens fielen umso geringer aus, je geringer der Abstand zwischen zugelassener und tatsächlicher Geschwindigkeit ausfalle. So sei eine Differenz zwischen erlaubter 100 km/h und tatsächlich gefahrener 140 km/h für den Fahrer weit deutlicher erkennbar, als eine Differenz zwischen 60 km/h und 84 km/h, obwohl das relative Maß der Überschreitung jeweils gleich sei.
Das Oberlandesgericht hat weiter ausgeführt, dass die Erkennbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch von den Sicht- und Wetterverhältnissen sowie von den Besonderheiten der Örtlichkeit abhänge. Dies gelte erst recht innerhalb einer Baustelle, bei der aufgrund von Fahrbahnunebenheiten auch bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit regelmäßig mit höheren Fahrgeräuschen zu rechnen sei.
Es ist richtig, dass die sensorischen Eindrücke des Fahrers nicht pauschal als Indiz für den Vorsatz herangezogen werden können, sondern dass die konkreten Umstände der Messung zu berücksichtigen sind. Es ist daher zu empfehlen, dass Betroffene, die wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt werden sollen, sich nicht allein auf die Messergebnisse verlassen, sondern auch ihre subjektive Wahrnehmung der Fahrsituation darlegen.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.07.2022 – 1 OWi 2 SsBs 39/22
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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