Wer zu schnell fährt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Doch wie wird die Schuld des Fahrers beurteilt, wenn er sich auf ein Zusatzschild verlässt, das den Grund für eine Geschwindigkeitsbegrenzung angibt? Ist es vorsätzlich oder fahrlässig, wenn er annimmt, dass die Beschränkung nicht mehr gilt, weil er keine Gefahr mehr sieht? Das OLG Brandenburg hat sich mit dieser Frage in einem aktuellen Beschluss beschäftigt.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruhte auf folgenden Feststellungen:
Der Betroffene fuhr mit seinem Pkw auf der Autobahn A15 und überschritt die zuvor durch beidseitige Beschilderung mit Zusatzzeichen 112 (“unebene Fahrbahn”) angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 35 km/h. Er beschleunigte vor der Messstelle bewusst von 100 km/h auf 135 km/h, weil er keine Fahrbahnschäden mehr feststellen konnte, auch andere Verkehrsteilnehmer wieder beschleunigten und er davon ausging, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht mehr galt. Tatsächlich bestand die Gefahr von Fahrbahnaufwölbungen noch fort.
Das Amtsgericht Cottbus verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 240 Euro. Es wertete sein Verhalten als völlig eigenmächtige Auslegung", die “nicht als Irrtum zu seinen Gunsten gewertet werden” könne. Der Betroffene legte durch seinen Verteidiger Rechtsbeschwerde ein und machte geltend, dass er nur fahrlässig gehandelt habe.
Fahrlässigkeit bei Irrtum über den Wegfall des Grundes
Das OLG Brandenburg gab der Rechtsbeschwerde teilweise statt und änderte das Urteil dahin ab, dass der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt und die Geldbuße auf 120 Euro festgesetzt wurde. Das OLG Brandenburg führte aus, dass der Betroffene zwar die objektiven Tatbestandsmerkmale der Ordnungswidrigkeit nach § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 StVO erfüllt habe, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 35 km/h überschritten habe. Jedoch sei er nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig vorgegangen.
Das OLG Brandenburg stellte klar, dass es für den Vorsatz nicht ausreiche, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung wahrgenommen und bewusst missachtet habe. Vielmehr müsse er auch gewusst oder zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass die Beschränkung noch galt.
Das OLG Brandenburg sah in dem Verhalten des Betroffenen einen Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB, der den Vorsatz ausschließe. Der Betroffene habe sich irrig darüber geirrt, ob der Grund für die Geschwindigkeitsbegrenzung noch fortbestand oder nicht. Er habe angenommen, dass das Zusatzschild “Straßenschäden” nur für einen bestimmten Streckenabschnitt gelte und dass dieser Abschnitt bereits beendet sei, weil er keine Fahrbahnschäden mehr erkennen konnte. Er habe daher nicht erkannt, dass er die Geschwindigkeitsbeschränkung noch verletze.
Das OLG Brandenburg wies darauf hin, dass das Zusatzschild “Straßenschäden” keine Entfernungsangabe enthalte und daher nicht klar sei, wie weit die Gefahrenstelle reiche. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass ein Fahrer sich auf seine eigene Wahrnehmung der Fahrbahnbeschaffenheit verlasse und zu dem Schluss komme, dass die Beschränkung nicht mehr gelte. Dies sei zwar fahrlässig, aber nicht vorsätzlich.
Das OLG Brandenburg verwies auf die Rechtsprechung des BGH, der einen ähnlichen Fall entschieden hatte (BGH, Beschl. v. 19.12.2017 - 4 StR 422/17). Dort hatte ein Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 38 km/h überschritten, nachdem er an einem Zusatzschild “Schneefahrbahn” vorbeigefahren war. Er hatte angenommen, dass die Beschränkung nicht mehr galt, weil er keine Schneefahrbahn mehr sah. Der BGH hatte ebenfalls einen Tatbestandsirrtum angenommen und den Vorsatz verneint.
Vorsicht bei Zusatzschildern
Der Beschluss des OLG Brandenburg zeigt, dass es bei Geschwindigkeitsüberschreitungen mit Zusatzschildern auf den Einzelfall ankommt, ob der Fahrer vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Es kommt darauf an, ob der Fahrer den Grund für die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt oder erkennt und ob er weiß oder annimmt, dass dieser Grund noch fortbesteht oder nicht.
Wenn der Fahrer sich auf seine eigene Wahrnehmung der Fahrbahnverhältnisse verlässt und zu dem Schluss kommt, dass die Beschränkung nicht mehr gilt, kann dies einen Tatbestandsirrtum darstellen, der den Vorsatz ausschließt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Zusatzschild keine Entfernungsangabe enthält und daher unklar ist, wie weit die Gefahrenstelle reicht.
Allerdings ist dies kein Freibrief für eine eigenmächtige Auslegung der Verkehrsregeln. Der Fahrer handelt in solchen Fällen immer noch fahrlässig und muss mit einem Bußgeld rechnen. Er muss sich vergewissern, ob die Geschwindigkeitsbeschränkung noch gilt oder nicht. Er kann sich nicht darauf berufen, dass andere Verkehrsteilnehmer auch schneller fahren oder dass er keine Gefahr mehr sieht.
AZ.: OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.11.2022 - 2 OLG 53 Ss-OWi 388/22
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
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