Das Oberlandesgericht Celle hat sich im Mai 2021 erneut mit der Haftungsbeschränkung von Minderjährigen in Bezug auf straßenverkehrsrechtliche Schäden auseinandergesetzt. In diesem Urteil verneint das OLG Celle die Mitschuld eines elfjährigen Jungen, welcher durch das unvorsichtige Überqueren durch die Verfolgung eines Freundes auf der Fahrbahn von einem PKW erfasst wurde. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich hier um eine typische kindliche Fehleinschätzung bezüglich der Entfernung und Geschwindigkeit des nahenden Fahrzeuges. Ein Mitverschulden ist in Bezug auf das Alter des Kindes abzulehnen.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
An einem noch dunklen Morgen im Dezember 2012 befand sich das elfjährige Kind vor Schulbeginn innerhalb der Gruppe von Freunden, um mit diesen gemeinsam den Weg zum Schulgebäude zu bestreiten. Um nicht den Anschluss an seine drei Freunde zu verlieren, überquerte das Kind die Fahrbahn, ohne einen Kontrollblick aufgrund eines eventuell nahenden PKWs zu vollführen.
Der Fahrzeugführer des PKWs hatte lediglich die Überquerung der ersten drei Kinder gesehen, jedoch nicht mit dem vierten Kind im Anschluss gerechnet. Durch eine leicht überhöhte Geschwindigkeit kam es zur Kollision mit dem überquerenden Elfjährigen.
Durch seine Prozessbevollmächtigten kam es zur Erhebung einer Klage aufgrund des Unfalles gegen den Fahrzeugführer und seiner Versicherung auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld.
In vorheriger Instanz hatte das Landgericht Verden bereits über den Ausgang entschieden, gegen die Entscheidung wurde jedoch Berufung zum Oberlandesgericht Celle eingereicht.
Fahrzeugführer hatte keinen Überblick über die Situation
Das Oberlandesgericht entschied zugunsten des Kindes. Ihm stehe der volle Anspruch bezüglich des Schadensersatzes sowie des Schmerzensgeldes zu. Der Fahrzeugführer hat vollständig zu haften, da ihm ein Verstoß nach § 3 Abs. 2a StVO vorzuwerfen ist. Aufgrund des Umstandes, dass er die ersten drei Kinder bei der Überquerung registriert hat, so hätte er automatisch auch mit weiteren folgenden Kindern rechnen müssen und demnach sein Fahrverhalten an die gegebene Situation anpassen müssen, bis er eine vollständige Übersicht über die Situation erlangt hat. Zusätzlich ist aufgrund der leicht erhöhten Geschwindigkeit ein weiterer Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 3 StVO statthaft. Nach Gutachten eines Sachverständigen kam dieser zum Ergebnis, dass der Unfall bei angepasster Geschwindigkeit hätte vermieden können.
Mitverschulden laut OLG nicht anwendbar aufgrund Haftungsbeschränkungsgedanke
Dem Kind könne im vorliegenden Fall kein Mitverschulden angelastet werden, da es sich hier laut Angaben des OLG um eine typische Fehleinschätzung des Kindes in Bezug auf Entfernung und Geschwindigkeit des PKWs handelt und in der Gesamtschau in Verbindung mit dem kindlichen Alter und der gruppendynamischen Situation kein Verschulden seitens des Elfjährigen konstruiert werden könne.
Der Unfall beruht auf einem besonderen kindlich unbesonnenen Verhalten, wodurch die Haftungsbeschränkung des Gesetzgebers erneut zum Tragen kommen soll. Würde man hier ein Mitverschulden des Kindes bejahen, so würde dies jedoch aufgrund einer Mehrzahl von Verstößen seitens des Fahrzeugführers hinter dessen überragenden Verschuldens zurücktreten.
Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 19.05.2021 - 14 U 129/20 –
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Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
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