Fährt ein Betroffener an mehreren hintereinander aufgestellten - die Höchstgeschwindigkeit beschränkenden - Verkehrszeichen vorbei, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen, so handelt er – wenn auch nicht vorsätzlich – zumindest mit gegenüber dem Regelfall gesteigerter Fahrlässigkeit, was durch Erhöhung der Regelbuße geahndet werden kann.
Zum Sachverhalt: Gegen den Betroffenen wurde wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h ein Bußgeld von 70 € erlassen. Im Verfahren nach hiergegen eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht (AG) den Betroffenen wegen fahrlässiger Begehungsweise dieser Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 85 € verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 23. Juni 2019 mit einem Pkw die Bundesautobahn im dort auf 100 km/h beschränkten Bereich mit einer Geschwindigkeit von 121 km/h (nach Toleranzabzug), wobei die geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren. Die Messung selbst erfolgte im standardisierten Messbetrieb mit dem Gerät ES 3.0.
Das Amtsgericht hat weiterhin festgestellt, dass der Betroffene die Verkehrsschilder beim Vorbeifahren wahrgenommen hatte und bei Einhaltung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt die angeordnete Höchstgeschwindigkeit auch hätte einhalten können. Die Erhöhung der Regelgeldbuße von 70,- € um 15,- € hat das Amtsgericht damit begründet, dass der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit gehandelt habe, weil er sein Fahrverhalten trotz mehrfach hintereinander aufgestellter Verkehrszeichen nicht angepasst hätte.
Dagegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde einlegen lassen, worin er allgemein die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügte, wobei die Verfahrensrügen in der Folge nicht weiter ausgeführt und begründet wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Sie war der Auffassung, dass der Fall keinerlei Veranlassung biete, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Aus Sicht des Senats war die Rechtsauffassung nicht zutreffend.
Der Einzelrichter der Senats hat die Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs.1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des sachlichen Rechts bezüglich der Frage, ob das Vorbeifahren an mehreren beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen und deren Nichtbeachtung einen erhöhten Fahrlässigkeitsvorwurf begründe, wodurch die Erhöhung der in der BKatV vorgesehenen Regelgeldbuße Rechnung getragen werden kann, zugelassen.
Er hat die Sache sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Das OLG Koblenz hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts zugelassen, jedoch insgesamt als unbegründet verworfen.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften gem. §§ 24 Abs. 1 StVG, 41 Abs. 1 , 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO i.V.m.Nr. 11.3.4 BKatV in objektiver wie subjektiver Weise. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern gewesen. Insbesondere sei ein sachlich- rechtlicher Verstoß nicht darin zu sehen, dass das Amtsgericht die Regelgeldbuße gem. BKatV von 70, - € um 15,- € erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat.
In der Rechtsprechung des OLG Koblenz wurde die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit gehandelt habe, wenn er mehrere beidseitig aufgestellten Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet, wobei hierzu eine Senatsentscheidung noch nicht vorliegt. In einigen Entscheidungen des 1. Und 2. Bußgeldsenats wird dies bejaht. Anderer Ansicht war der Einzelrichter des 3. Bußgeldsenats, der die Auffassung vertreten hatte, dass durch ein solches Fehlverhalten der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhöht werde und eine darauf gestützte Erhöhung der Regelgeldbuße zu unterbleiben habe.
An der anderslautenden Rechtsprechung des Einzelrichters wird nicht mehr festgehalten.
Grundsätzlich sind die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben. Die Bußgeldregelsätze gehen dabei für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus. Ein Abweichen hiervon ist nur dann zulässig, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Aus § 17 Abs. 3 OWiG ergibt sich, dass Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft.
Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und der damit verbundenen besonderes Vorwerfbarkeit sprechen Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung.
Ein Fahrzeugführer hat davon auszugehen, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handelns bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und somit nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle durch mehrere mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so wird dies einen verantwortungsvollen Verkehrsteilnehmer dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, dass er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält.
Ein Fahrer, der eine Beschilderung einfach ignoriert, handelt hingegen mit gesteigerter Fahrlässigkeit.
Der Sinn und Zweck der dreifach hintereinander aufgestellten Schilder ist auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsüberschreitung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienen.
Passiert der Betroffene, wie vorliegend, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällstrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er wahrnehmen muss, handelt er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein einziges, die Höchstgeschwindigkeit anordnendes, Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen.
Somit ist der Auffassung des AG Linz am Rhein zu folgen, wonach das Fehlverhalten im vorliegenden Fall vom Regelfall nach der BKatV in einem Maße nach oben abweicht, dass es nicht mehr einem mittleren Fahrlässigkeitsgrad zuzuordnen ist, sondern in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit fällt. Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellen besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen.
In der Erhöhung des Bußgeldes ist somit, aufgrund der mehrfach wiederholten Beschilderung, kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot zu sehen. Das AG hat nicht das mehrfache Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung von der Messstelle zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, sein Fehlverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.
OLG Koblenz, Beschluss vom 8.3.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21
Foto: AdobeStock Nr. 227893429
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht
Comments