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AutorenbildRA Sven Skana

Geschwindigkeitsüberschreitung nicht durch „Dichtes Auffahren“ des Hintermanns zu rechtfertigen

In einer Bußgeldsache hat das Kammergericht Berlin am 02.08.2023 Stellung zu den Rechtfertigungsgründen des Betroffenen bezogen. Diese Entscheidung zeigt die Wichtigkeit einer rechtlich fehlerfreien Beweiswürdigung des Tatgerichts für das weitere Verfahren.

 

Sachverhaltsfeststellungen des AG Tiergarten

Am Tattag hatte der Betroffene die Geschwindigkeit innerorts laut Bußgeldbescheid der Polizei Berlin um 38 km/h überschritten. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 260 € und ein einmonatiges Fahrverbot nach § 4 Abs. 1 BKatV verhängt. Das Fahrverbot war nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung spätestens mit Ablauf von vier Monaten nach § 25 Abs. 2a StVG anzutreten.

Das AG Tiergarten hingegen hatte im Laufe des Verfahrens in seiner Beweiswürdigung lediglich eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/h als bewiesen angesehen. Laut Tatvideo sei der Betroffene etwa 75 Stundenkilometer auf der äußerst rechten Fahrspur gefahren. Ein Kleinfahrzeug musste wegen des Fahrzeuges des Betroffenen nach Wechsel der Fahrspur ruckartig in die mittlere Fahrspur zurücklenken. Der Betroffene bremste sein Fahrzeug zeitgleich ab. Der Abstand zum dahinter fahrenden Polizeifahrzeug war während des Messvorgangs stets gleich. Daraus hatte das Amtsgericht Tiergarten eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung geschlossen und den Betroffenen zu einer Geldstrafe von 100 € verurteilt. Es war kein Fahrverbot verhängt worden. Die Amtsanwaltschaft Berlin hat daraufhin Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung des sachlichen Rechts erhoben.

 

Widersprüchliche Darstellungen des Tatgerichts

Das KG Berlin erachtete die Beweiswürdigung des AG Tiergarten als unzureichend. So hieß es in den Feststellungen, der Betroffene habe die zulässige Geschwindigkeit „um 25 Stundenkilometer“ überschritten, jedoch wurde bei der Beweiswürdigung eine Geschwindigkeit von 75 km/h angegeben und davon ausgehend habe der Betroffene noch „weiter beschleunigt“. Diesen Widerspruch hätte das AG durch Aufnahme des Wertes über 75 km/h auflösen müssen, selbst wenn es diesen Wert für „nicht verwertbar“ hält. Auf welcher Grundlage das AG die Geschwindigkeitsangabe bestimmt habe, bleibt unklar. Die Beweiswürdigung gibt nicht preis, durch welches Medium die Messung erfolgt ist. Es heißt, der Betroffene sei von einem Polizeifahrzeug verfolgt worden, die Geschwindigkeit sei offenbar durch Nachfahren bestimmt worden. Dem Urteil seien weder die Bezeichnung eines bestimmten Messverfahrens zu entnehmen noch die Veranschlagung eines bei diesem Messverfahren angezeigten Toleranzabzugs. Das Rechtsbeschwerdegericht konnte die Überzeugungsbildung des Tatgerichts demnach nicht nachvollziehen.

 

„Dichtes Auffahren“ weder belegt noch gerechtfertigt oder entschuldigt

Schließlich hat das AG fehlerhaft erkannt, dass die möglicherweise tatsächlich festgestellte, aber im Urteil nicht belegte, Geschwindigkeitsüberschreitung von 38 km/h dem Betroffenen nicht vorzuwerfen sei. Zum einen habe diese lediglich über eine Strecke von nicht einmal 200 Metern von insgesamt 1600 Metern gemessener Strecke angedauert. Zum anderen habe der Betroffene sich bedrängt gefühlt. Jedoch hatte das Tatgericht dabei nur das äußere Geschehen dargestellt und die subjektive Seite außer Acht gelassen.

Einen Rechtssatz, eine Annäherung des nachfolgenden Fahrzeugs erlaube eine – zumal drastische – Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, gebe es laut KG nicht. Als Rechtfertigung einer Ordnungswidrigkeit kommen insbesondere Notwehr nach § 15 OWiG und Rechtfertigender Notstand nach § 16 OWiG in Betracht, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff beziehungsweise eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib oder weitere benannte Rechtsgüter vorliegt. Die Erfüllung des Tatbestandes einer Ordnungswidrigkeit soll sodann zur Abwehr des Angriffs oder zur Abwehr der Gefahr gerechtfertigt sein. Im Falle des hier Betroffenen hatte das dichte Auffahren als Gefahr oder Angriff längst nicht ausgereicht. Das AG hatte zudem keine weiteren Angaben gemacht, die die konkreten Umstände in tatsächlicher Hinsicht ausreichend darstellen. Laut KG ließen weder die Feststellungen noch die Beweiswürdigung einen örtlichen, zeitlichen oder gar inneren Zusammenhang zwischen dem „dichten“ Auffahren des Polizeifahrzeugs und der erheblichen Geschwindigkeit des Betroffenen erkennen. Das dichte Auffahren des nachfahrenden Polizeifahrzeugs rechtfertigt somit die Geschwindigkeitsüberschreitung um 38 km/h nicht. Auch als Entschuldigungsgrund kommt das geringe Abstandhalten des nachfahrenden Fahrzeugs nicht in Betracht.

 

Das von der AA Berlin angefochtene Urteil wurde vom KG aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Als Information teilte der Senat sodann mit, dass die Messung mit einem als standardisiert anerkannten Messverfahren vorgenommen wurde und dass die Durchschnittsgeschwindigkeit über die Messstrecke hinweg 88 km/h betrug.

 

AZ: KG, Beschluss vom 02.08.2023 - 3 Orbs 158/23 – 122 Ss 71/23

 

Hinweis:

 

Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.

 

Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.

 

Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht

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