Die Rolle des Beifahrers bei gefährlichem Eingriff im Straßenverkehr mit Unfall und gefährlicher Körperverletzung: Mittäter oder Beihelfer?
- Sven Skana

- 10. Juli
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Im Verfahren mit dem Aktenzeichen 4 StR 446/24 hatte der Bundesgerichtshof über die Revisionen zweier Angeklagter zu entscheiden, die vom Landgericht Berlin wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden waren. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildete die Einordnung der Täterinnen als Mittäter und die Abgrenzung zur Beihilfe. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die beiden Angeklagten hatten gemeinsam einen Ladendiebstahl in einem Supermarkt begangen. Nach der Tatausführung begaben sie sich zu einem Fahrzeug auf dem Parkplatz, um zu fliehen. Eine Zeugin, die den Diebstahl beobachtet hatte, stellte sich dem Fahrzeug in den Weg, um die Weiterfahrt zu verhindern. Eine der Angeklagten, die das Fahrzeug steuerte, fuhr in Richtung der Zeugin und erfasste sie mit dem Auto, wodurch sie verletzt wurde. Die zweite Angeklagte saß auf dem Beifahrersitz und hatte ihre Komplizin zuvor dazu gedrängt, trotz der Blockade loszufahren. Beide Täterinnen konnten schließlich fliehen, wurden aber später identifiziert und angeklagt.
Das Landgericht Berlin verurteilte beide Angeklagten als Mittäterinnen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, woraufhin beide Verurteilten Revision gegen dieses Urteil einlegten. Die Verteidigung rügte insbesondere die rechtliche Einordnung der Mitfahrerin als Mittäterin, obwohl sie nicht selbst das Fahrzeug geführt hatte. § 25 Abs. 2 StGB sei fehlerhaft angewendet worden Nach Ansicht der Verteidigung fehle es bei der Beifahrerin an einem hinreichenden objektiven Tatbeitrag sowie an Tatherrschaft.
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2024 verwarf der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Der Senat bestätigte die Auffassung des Landgerichts, dass auch die Angeklagte, die nicht selbst das Fahrzeug geführt hatte, als Mittäterin anzusehen sei. Die Entscheidung stützte er dabei auf die Feststellung, dass beide Angeklagte ein gemeinsames Fluchtinteresse verfolgten und gemeinschaftlich handelten. Insbesondere habe die Mitfahrerin die Fahrerin aktiv zum Anfahren aufgefordert und damit einen wesentlichen Beitrag zum Geschehen geleistet. Der BGH stellte klar, dass Mittäterschaft nicht zwingend voraussetzt, dass ein Beteiligter eine Ausführungshandlung im technischen Sinn selbst vornimmt. Ausreichend sei ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken bei der Tatbegehung, welches sich auch in einem psychischen Beitrag oder der Förderung des Tatentschlusses äußern könne.
Nach Ansicht des Gerichts leistete die Mitfahrerin durch das ausdrückliche Drängen zum Losfahren trotz der erkennbaren Gefahr für die Zeugin einen eigenständigen und erheblichen Tatbeitrag. Das gemeinsame Fluchtinteresse, die vorangegangene Tatausführung als Team sowie das aktive Einwirken auf den konkreten Tatablauf begründeten nach Auffassung des Senats eine Mittäterschaft. Die Beifahrerin habe nicht nur passiv teilgenommen, sondern durch ihr Verhalten maßgeblich Einfluss auf das Geschehen genommen und somit Tatherrschaft ausgeübt.
Mit der Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof erneut klar, dass Mittäterschaft nicht auf körperliche Tatbeiträge beschränkt ist. Auch psychische Beiträge, die den Ablauf einer Tat wesentlich beeinflussen, können eine Täterschaft begründen, wenn sie Ausdruck eines gemeinsamen Tatplans sind und auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtet sind. Der Fluchtvorgang nach einem Diebstahl kann unter bestimmten Umständen selbst eine neue Straftat darstellen, insbesondere wenn er mit Gewalt gegen Personen verbunden ist, wie im vorliegenden Fall durch das gezielte Anfahren einer Person mit dem Fahrzeug. Der Beschluss hat zur Folge, dass die Verurteilung beider Angeklagter rechtskräftig ist. Die Revisionen wurden als unbegründet verworfen und die Kosten ihres Rechtsmittels sind von den Verurteilten zu tragen.
AZ: BGH, Beschluss vom 19.12.2024 – 4 StR 446/24
Hinweis:
Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.
Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.
Sven Skana
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Anwalt für Strafrecht


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