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AutorenbildRA Sven Skana

Sind Sitzblockaden der Klimaaktivisten eine strafbare Tathandlung?

Das Amtsgericht Berlin – Tiergarten hat im Oktober 2022 erstmals Stellung zu den Sitzblockaden der Klimaaktivisten der „letzten Generation“ genommen. Es ging um die Frage, ob die Tathandlungen des Straßenblockierens den Tatbestand des Widerstandsleisten nach § 113 Abs. 1 StGB sowie der Nötigung nach § 240 StGB erfüllen. Das erstinstanzliche Amtsgericht hat die Frage verneint und den Erlass des Strafbefehls damit abgelehnt.


Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeschuldigten wird vorgeworfen, am 23.06.2022 gemeinsam mit 66 anderen gesondert verfolgten Personen die Kreuzung am Frankfurter Tor im Rahmen einer politischen Demonstration als Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ blockiert zu haben. Aufgrund dessen, dass sich die Personen auf der Straße befunden haben, kam es über einen Zeitraum von 3,5 Stunden zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Dazu soll es Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegeben haben.


Ein Nachweis in Bezug auf das Widerstandsleisten im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB konnte vom Gericht nicht geführt werden Nach Befragung der Augenzeugen gab keiner an, dass diese Personen aktive Handlungen gegen die Polizisten begangen haben. Beim Wegtragen der Aktivisten gab es lediglich akustische Auseinandersetzungen, welche jedoch das Merkmal des Widerstands nicht erfüllen. Demnach ist der objektive Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB bereits nicht erfüllt worden.


Das Festkleben auf der Straße stellt noch keine vollständige Nötigungshandlung dar

Zu der Nötigungshandlung der Sitzblockade, welche zur Verkehrsstörung des KFZ-Führer geführt hat, hat das Gericht folgende Aussagen getroffen:

Vorauszuschicken ist, dass jede politische Demonstration lästig ist, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich: Großdemonstrationen legen den Innenstadtverkehr oftmals für halbe Tage lahm, die Anwohner müssen für Stunden verschiedene Belästigungen dulden. Um politischen Demonstrationen strafrechtlich zu begegnen, muss daher festgestellt werden, dass der gesetzliche Rahmen durch Demonstrationsteilnehmer verlassen wurde, namentlich im Falle unfriedlicher Demonstrationen, in denen es zu kollektiven, nicht unerheblichen Gewalthandlungen kommt. Dies war im obig genannten Fall jedoch nicht gegeben.

Da es sich bei politischen Demonstrationen um das Ausleben des grundrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG handelt, muss hier eine umfangreiche Güterabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nach § 240 Abs. 2 StGB durchgeführt werden.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Verzögerung der Personen, welche in diesem Stau verwickelt waren, keine besonderen Grundrechtseinschränkungen erfolgt seien, welche für da Gericht ausreichen würden, Unverhältnismäßigkeiten anzunehmen.

Zudem wurde die Blockadeaktion von der Gruppierung medial angekündigt, so dass Autofahrer grundsätzlich während der angekündigten Zeiten mit entsprechenden Beeinträchtigungen gerechnet haben müssen.

Obwohl es eine Rückstauung von 1,8 Kilometern gab, argumentiert das Gericht, dass es sich hier um einen stark frequentierten Verkehrsbereich handelt, welcher auch ohne politische Aktionen vermehrt zu Verkehrsbeunruhigungen führt.


Angesichts der die von den Blockaden betroffenen Fahrzeugführer positiv wie negativ und überhaupt die Menschheit dringlich betreffenden Ziele der Demonstrationsteilnehmer und also auch der Angeschuldigten, angesichts der Tatsache, dass dringende Transporte wie namentlich Krankentransporte das Demonstrationsgebiet passieren konnten, angesichts der Tatsache, dass die Demonstration die Betroffenen kaum länger als eine Vielzahl sonstiger (angemeldeter) Demonstrationen im Stadtgebiet beeinträchtigt hat und (mutmaßlich, da von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht umfasst) angesichts der vorangehenden Ankündigungen weiterer Demonstrationen zumindest einige der betroffenen Fahrzeugführer im Vorfeld auch auf öffentliche Verkehrsmittel hätten umsteigen können, ist das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiegt vorliegend bei weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.


Hierbei ist zu beachten, dass es sich im vorliegenden Fall um eine erstinstanzliche Entscheidung eines Amtsgerichtes handelt. In Zukunft werden sich höherrangige Gerichte mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, was höchstwahrscheinlich auch zu abweichenden Ergebnissen kommen wird.


AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 05.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22).


AdobeStock Foto-Nr.: 388037257


Hinweis:


Bitte beachten Sie, dass es einer genauen Prüfung des Einzelfalls bedarf, um herauszufinden, ob sich Ihr eigener Sachverhalt genau mit dem oben geschilderten Anwendungsfall deckt.


Für diesbezügliche Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Zudem übernimmt in der Regel eine Rechtsschutzversicherung alle Anwaltskosten und auch die Verfahrenskosten eines Rechtsstreits. Wir informieren Sie auf jeden Fall gern im Voraus zu allen anfallenden Kosten.


Sven Skana

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Anwalt für Strafrecht


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